Me, MySelfie & iMe

Wir haben Angst, nicht geliebt zu werden. Natürlich, verständlich, denn wir werden nicht geliebt. Niemals. Wir werden gehasst, und zwar von fast allen anderen, die in uns die eigene unvollkommene Vergänglichkeit erkennen.“ - Sibylle Berg

Seit Anfang des 20. Jahrhunderts geht der Mythos des Narziss in die meisten modernen Theorien des Ich ein. Seit Mitte der 70er erlebt die Auseinandersetzung mit dem Narzissmus einen regelrechten Boom. Allgemein wird Narzissmus als krankhafte Ich-Bezogenheit und Selbstverliebtheit verstanden. In der Psychoanalyse dagegen wird zwischen einem gesunden und einem pathologischen Narzissmus unterschieden. Dabei gilt ein gesunder Narzissmus als Grundbestandteil eines jeden Selbst. Eine narzisstisch gestörte Persönlichkeit dagegen wird als Mensch mit einem unvollständigen Selbst beschrieben, das dazu verdammt ist, einen empfundenen Mangel permanent durch Großartigkeit zu kompensieren.

Einsamkeitswüste in der narzisstisch geprägten Konsumgesellschaft? Jeder ist mit sich selbst beschäftigt, damit, um die Verletzlichkeit eine schillernde, undurchdringliche Ich-Hülle zu bauen - nur keine Angriffsfläche bieten! Getrieben von dem Gefühl, nie gut genug zu sein, jagt man einer perfektionierten Version von sich hinterher. Und wird dabei permanent Opfer der Verheißungen, mit denen die Werbung lockt. Schöner, cooler, besser! Casting- und Realityshows - es geht ums Gewinnen! Die nicht zu versteckenden Mängel werden ironisiert, als besondere Originalität verkauft. Gönn dir! Ständig muss man sich nach außen produzieren, unablässig sich im Anderen spiegeln, immer in seiner Großartigkeit und seiner Individualität bestätigt werden. Man misst sich und wird gemessen - an Anderen, an Besseren, an Idealen.

Wovor haben die Leute eigentlich Angst? Davor, zu speziell zu sein und davor, nicht speziell genug zu sein. Davor, auf sich selbst zurückgeworfen zu sein, nicht geliebt zu werden. Da muss schnell ein großes Ego her. Und zwar am besten eines, das man mit 100 Selfies pro Stunde ins Internet blasen kann. Ah, tut das gut, dieses verbesserte Facebook-Ich. Endlich vor der permanenten Unzulänglichkeit fliehen, sich endlich ausgiebig selbst konsumieren. Aber schon kommen von außen die Erwartungen angerauscht. Und was wollen denn jetzt die Eltern? Ach, die sind ja auch in der Leistungsgesellschaft gefangen. Da darf der Anspruch an den Nachwuchs nicht fehlen. Bessere Noten, bessere Schule und gesünder leben als man selbst es je getan hat. Denn man weiß, was das Beste für das eigene Kind ist. Und die Gesellschaft weiß es auch. Sind wir eigentlich noch zu retten? Liebe zu sich selbst macht unabhängig und ermöglicht Liebe zu anderen. Narzissmus ist nicht nur Ansporn, über sich selbst hinauszuwachsen, sondern auch ein wichtiger Bestandteil der Selbsterkennung und somit der Ich-Werdung. Man spiegelt sich in der Welt und in ständiger Wechselwirkung die Welt wiederum in sich. 

Wir glauben an eine kreative Jugend, an die Selbst heilenden Kräfte der Reflexion und an das Feuer in unseren Seelen.