Der Mythos des schönen Jünglings, der an der Liebe zu seinem Spiegelbild stirbt

Narziss' Mutter ist alleinerziehend. Der Flussgott Kephissos hatte die wasserblaue Nymphe Leiriope einst „mit den Windungen seines Stromes umschlossen“ und sich danach fortgespült. Aus dieser ungewollten Verbindung entsteht ein schöner Junge, an dessen Überlebenstauglichkeit in der Welt die Mutter jedoch zweifelt: Sie befragt den Seher Teiresias, ob Narziss lange leben werde, woraufhin dieser antwortet: „Ja, wenn er sich nicht selbst kennenlernt.“

Die Welt ist von Narziss begeistert und er wird von Verehrern jeglichen Geschlechts belagert. Er allerdings hat für niemanden Interesse. Sein Fan Ameinias versucht besonders hartnäckig, ihn rumzukriegen, bis er von ihm ein Schwert geschickt bekommt, mit dem sich der Zurückgewiesene selbst tötet.  Auch die Nymphe Echo ist unsterblich in ihn verliebt. Echo, von der Göttermutter Hera wegen ihrer Geschwätzigkeit verflucht, kann nur nachplappern, was andere gerade gesagt haben. Narziss erklärt, lieber sterben zu wollen, als mit ihr zusammen zu sein. Echo vergeht vor Liebeskummer, bis sie nur noch ein Gerippe ist. Ihre Knochen versteinern und nur ihre Stimme bleibt. Narziss wird seiner arroganten Zurückweisungen wegen verflucht: Er soll selbst nie bekommen, was er begehrt.

In einer klaren Quelle erblickt er sein Spiegelbild und verliebt sich unsterblich. Er ist überwältigt davon, dass der andere immer dasselbe zu fühlen scheint wie er, denn lächelt Narziss, so tut dies auch sein Bild. Unaufhörlich betrachtet er sich selbst und „liebt eine körperlose Hoffnung“. Doch er kann sich nicht greifen. Bei jedem Versuch verschwimmt das Bild. Über seinen Tod gibt es verschiedene Gerüchte: Ertrank er in der Quelle beim Versuch, sich zu berühren oder stürzte er sich vor Verzweiflung hinein? Konnte er die Erkenntnis, dass er sich selbst liebt, nicht ertragen? Ovid behauptet, er habe sich selbst Gewalt angetan und sei am Anblick seines entstellten Körpers krepiert „und der Tod schloss die Augen, welche die Schönheit des Eigentümers bewunderten.“

Doch göttliche Wesen haben Mitleid mit dem schönen Narziss und wo eben noch seine Leiche lag, da befindet sich nun eine Blume: die Narzisse.